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Pressemitteilung

Freihandelsabkommen TTIP und CETA: Nürnberger ÖDP-Stadtrat reicht Verfassungsbeschwerde ein.

Brandbrief an Nürnberger Bundestagsabgeordnete "Frontalangriff auf die demokratische Kultur in unserem Land!"

NÜRNBERG / Der Nürnberger ÖDP-Stadtrat Thomas Schrollinger hat im Zusammenhang mit den laufenden Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen der EU und den USA und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen der EU und Kanada Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Aus seiner Sicht wäre eine Zustimmung der Bundesregierung zu den beiden Abkommen im Rat der EU nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Aufgrund eines bereits im Februar gestellten Antrages der ÖDP wird das Thema auch in der nächsten Stadtratssitzung auf der Tagesordnung stehen.
 
"Der Wunde Punkt liegt in der in den Abkommen angestrebten Investitionsschutzklausel. Darin sollen ausländische Investoren ein vom deutschen Staat unantastbares ´Grundrecht auf ungestörte Investitionen´ erhalten. Jeder ausländische Investor, dem ein neues deutsches Gesetz oder eine Behördenentscheidung unbequem wird, könnte dann von der Bundesrepublik Entschädigungen fordern, die wiederum vom Steuerzahler mitzutragen sind," so Schrollinger.
"CETA und TTIP wollen in erster Linie so genannte `Handelshemmnisse´ abbauen. Darunter fallen neben Zöllen und Steuern auch Regelungen zu Sozialversicherungen, Arbeitsrecht, öffentlichen Nahverkehr und Verbraucherschutz, Umweltauflagen oder Sicherheitsstandards. Mit CETA könnten US-Konzerne auch schon europäische Staaten verklagen, wenn ihre Gesetze deren Gewinne schmälern. Die Konzerne müssten dazu nur eine Tochterfirma in Kanada eröffnen. TTIP kann Gentechnikprodukte in europäischen Supermärkten erzwingen, weil ihr Verbot den freien Handel behindert. Es kann die Privatisierung der Wasserversorgung erzwingen, weil zu einer freien Wirtschaft ein freier Dienstleistungssektor bei der Infrastruktur gehört, in die man Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge einbezieht. Es kann Gemeinden oder Regionen zwingen, Fracking zuzulassen, das in dicht besiedelten Gebieten Deutschlands ja weit strengere Schutzregeln erfordern würde als in sehr dünn oder gar nicht besiedelten Landesteilen der USA," befürchtet der ÖDP-Politiker.
"Verhandelt würde dann vor einem privaten, nichtöffentlichen Schiedsgericht. Nur zahlen müsste die Bevölkerung. Diese Bestimmungen werden für alle Ebenen von der EU über den Bund, die Länder bis zu den Kommunen bindend sein. Damit wird auf fast allen Politikfeldern der Einfluss der gewählten und demokratisch legimitierten Politik und auch der von Volksentscheiden entzogen."
Die deutschen Staatsorgane dürften sich nur insoweit an fremden Willen rechtlich binden, als das Grundgesetz es selbst vorsieht, so an die europäische Integration (Art. 23 GG) und an Schiedsgerichte "zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten" (Art. 24 GG).  "Es ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, dass der deutsche Staat den eigenen Gerichten entzogen wird. Würde er sich einem privaten Schiedsgericht unterwerfen, würde er damit seine Souveränität einer demokratisch illegitimen Instanz ausliefern. Dafür enthält unser Grundgesetz keine Ermächtigung. Die geplanten Sonderklagerechte für Konzerne (ISDS) hintergehen den Rechtsstaat und unterlaufen demokratische Entscheidungen. Unser Wahlrecht nach Artikel 38 GG wäre enorm beschädigt. Diese Freihandelszone wäre durch Wahlen, Regierungswechsel oder Protestaktionen nicht mehr angreifbar, " so Schrollinger.
Aus seiner Sicht gebe es leider nichts zu beschönigen: "Mit den Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP und CETA stehen Demokratie und Rechtsstaat, Umwelt- und Verbraucherschutz, soziale Standards und kulturelle Vielfalt in Europa auf dem Spiel. Demokratische Entscheidungen durch Wahlen, Volksabstimmungen in den Bundesländern und Bürgerentscheide in den Kommunen würden durch die Abkommen nicht nur wirkungslos werden, sondern könnten für die Bürgerinnen und Bürger als Steuerzahler durch das Schiedsgerichtsverfahren auch sehr teuer werden. Letztlich ist doch die im Art. 1 (1) GG verankerte Würde des Menschen von der Bundesrepublik in jeder Hinsicht zu schützen, auch vor  unternehmerischer Willkür!"
 
Zudem wandte sich Schrollinger in einem Brandbrief an die Nürnberger Bundestagsabgeordneten Wöhrl, Heinrich, Weinberg, Frieser und Burkert. Er will darin von ihnen wissen, ob sie über die Details der geplanten Freihandelsabkommen TISA, CETA und TTIP informiert sind und ob sie diesen zustimmten. "Es wird beschwichtigt, vertröstet und beschönigt, wenn es um die Geheimverhandlungen zu den TTIP, CETA und TISA geht", ärgert sich der ÖDP-Stadtrat. Immer wieder werde behauptet, dass sich die Bürgerinnen und Bürger keine Sorgen machen sollten, da die gewählten Mitglieder des Bundestags am Ende das letzte Wort hätten und über die Vertragswerke entscheiden würden.
"Diese Sorglosigkeit kann ich leider nicht nachvollziehen. Sie befremdet eher. Wenn diese Verträge am Ende so durchgehen, hat der Souverän und seine gewählten Vertreter bald in wichtigen Angelegenheiten der Daseinsvorsorge gar nichts mehr zu entscheiden," so Schrollinger.

"Es wird zwar immer wieder von ´Ausnahmeregelungen´ und ´Definitionshoheit der Mitgliedsstaaten´ gesprochen. Aber weil die Verhandlungen in geheimen Hinterzimmern stattfinden und nicht einmal gewählte Parlamentarier bzw. die kommunalen Spitzenverbände, geschweige denn Umwelt- oder Verbraucherschützer mit am Tisch sitzen, bleibt die ganze Sache ein unglaublicher Vorgang, der sämtlichen demokratischen Grundsätzen Hohn spricht, mit ungewissem Ausgang für uns alle“.

In diesem Zusammenhang will Schrollinger in seinem Schreiben auch wissen, ob wenigstens die Abgeordneten des Deutschen Bundestags über Inhalt und Fortgang der Verhandlungen informiert werden oder ob auch sie, wie der Rest der Bürgerschaft, ausgeschlossen bleiben. Unabhängig von der Frage der „Geheimhaltung“ hätte Schrollinger gerne gewußt, ob die Nürnberger MdBs die Einrichtung von „Schiedsgerichten“ außerhalb der ordentlichen Gerichte befürworten, die im Rahmen des sogenannten „Investorenschutzes“ eingeführt werden sollen. Konzernen würde dadurch ermöglicht, Staaten auf Schadensersatz zu verklagen, wenn diese beispielsweise zum Schutz von Mensch und Umwelt strengere Gesetze erlassen, die dann eventuell den Profit der Konzerne schmälern könnten. „Das wäre ein Frontalangriff auf die demokratische Kultur in unserem Land. Es bleibt zu hoffen und zu erwarten, dass der Bundestag das in aller Entschiedenheit ablehnt“, so der ÖDP-Politiker.

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